Malonda
Mein Herz ist ein dunkler Kontinent (Digital Download)
MALONDA - “Mein Herz ist ein dunkler Kontinent”
Wenn MALONDA einem Publikum vorgestellt wird, könnte die Liste minutenlang sein - Sängerin, Songwriterin, Aktivistin, Moderatorin, Diva, Kolumnistin, Musicaldarstellerin - aber vielleicht hilft es, sie sich als wirkliche Seltenheit vorzustellen: MALONDA telefoniert gerne.
Wer das ganz besondere Glück hat, mit Achan befreundet zu sein, kann im Laufe eines guten Tages fünf oder sechs Mal angerufen werden. Es geht ihr immer um die wichtigen Themen der Zeit, wie peinliche Tagespolitik, kritische Analysen der Tony Awards oder Hotness-Rankings südkoreanischer Serienstars. Aber vor allem will sie die drei großen Fragen besprechen: Warum meldet sich diese*r Clown*in denn nicht? Warum meldet sich diese*r Clown*in denn jetzt und schreibt so einen Müll? Warum sind in diesem Land alle so furchtbar?
MALONDAs Debütalbum “Mein Herz ist ein dunkler Kontinent” dreht sich um einige dieser Fragen. Es ist autobiographisch, ohne Achans Biographie - Mädchen aus Essen-Borbeck, Mutter aus dem Kongo, Vater aus dem Sudan, nach Stationen in Stuttgart und Hamburg seit ein paar Jahren in Berlin und natürlich stets auf Wohnungssuche - nachzuerzählen oder gar anhand ihrer Identitäten wie Schwarz, queer und Ruhrpott aufzubereiten.
Stattdessen ist das Album, musikalisch dank der Produktion von Riffsn (Grossstadtgeflüster) und Mona M so abwechslungsreich wie MALONDAs Kleiderschrank, eine Sammlung von 14 Anrufen: vom Wikipedia-Wormhole zur Wutrede über Deutschland, von PMS-Klagen zur Sehnsucht nach Revolution, von richtigem Quatsch bis zur emotionalen Therapiestunde, die erst einmal verarbeitet werden muss.
Bei so viel Sprechfreude passt es, dass der erste Song des Albums einer Heldin gewidmet ist, der wir die Technik zu verdanken haben, auf der Handyempfang und Bluetooth basieren. In “Hedy Lamarr” erzählt MALONDA das Leben der ikonischen Schauspielerin, die es in den Dreißigern von Wien nach Hollywood trieb und die als jüdische Antifaschistin für die US Navy Torpedotechnik entwickelte, als eleganten Elektro-Chanson mit ekstatischen Abgang.
Unverschämt catchy geht es weiter mit “Disco im Kopf”, in dem laute Gefühle und scharfe Ideen, Lust und Freude, aber auch Ängste und Verletzungen wild zusammen tanzen. Der Soundtrack verkündet zwischen Club-Sommerhit und Popschlager eine Botschaft: zu viele Gedanken im Kopf machen dann einsam, wenn man sie nicht mit anderen Menschen teilt.
Auf das Bad in der Menge folgt die Einsamkeit: im beswingt melancholischen “Manchmal bin ich einsam” tänzelt MALONDA durch die Straßen einer Stadt, die verlassen und voller Menschen ist, gleichzeitig Metapher und konkrete Lebenserfahrung. Kein Song über romantische Selbstaufgabe im Großstadt-Gewirr, aber auch kein Abgesang: manchmal tut die Stadt gut, und manchmal tut sie weh.
Und schließlich gibt es nur in einer echten Stadt genügend Personal, um wieder die zweite Hauptrolle zu casten, die aus MALONDAs One-Woman-Show vielleicht einen Dialog macht. Mit wissendem Lächeln schaut sie in “Weil ich’s kann” zurück auf vergangene Kandidat*innen und fragt sich, ob sie eigentlich selbst überhaupt die eigene Idealbesetzung ist.
Auf “Geh ich zu weit” bohrt sie dann tief im Schmerz, statt ihn wegzulachen. Hinter der geschilderten Beziehungskrise stecken unverheilte Wunden, Sucht nicht nur nach Nähe und Selbstzerstörung. Die stechend klaren Worte, die Performance zwischen Zerbrechen und Trotz und die von Jonathan Walter komponierte Hook machen aus dem Song einen Klassiker des deutschsprachigen Soul.
Statt ihr Gegenüber zum Symbol für eigene Gefühle zu machen, dreht MALONDA das Bild um und schaut ihrer “Scheißangst” in die Augen. Das triumphale Finale lässt an einen Sieg über eigene Schwächen und Ängste denken, doch bei MALONDA gibt es keine einfachen Antworten: die Angst gehört zum Leben, und vielleicht klammern sich Menschen an sie, weil sie ein Leben ohne fürchten.
Nach der winterlichen Kälte kommt die brennende Party der “Feuerfrau”, einer der Grundsteine der Konzerte der ‘Elektrik Diva’. Der Song ist hier in einer 2.0-Fassung zu hören, der eine Zeile mit ehemals diskriminierender Sprache ganz entspannt ersetzt. Schließlich sollen auf MALONDAs Party alle tanzen dürfen.
“Sexlied” beschreibt, was passiert, wenn zwei Körper aufeinanderstoßen, kühl-analytisch und erhitzt-sinnlich. Der machtkritische Sex-Jam ist eine komplexe Meditation darüber, dass “ich als queere Schwarze Femme oft Sex mit weißen Cis-Männern habe”. Zu dieser Konstellation mit ihren erotisch-kolonialen Dimensionen hat MALONDA auch einen begleitenden Essay geschrieben, der nach der Veröffentlichung viral ging.
Auf “Persönlich” blickt MALONDA mit spöttischer Zärtlichkeit auf eine vermutlich männliche Person, mit der sie es länger als ein paar Tage aushält. Der Song spielt mit großer Empathie moderne Beziehungsprobleme durch, die immer auch Probleme mit sich selbst sind. Großstadtgeflüster garnieren ihn mit Streichern und Chipmunk-Soul und erzeugen das Gefühl eines erhebenden und erschöpften Sonnenaufgangs.
Mit “Andersblüter” ist MALONDA nah an ihrer Ikone Hildegard Knef. Jeder Mensch, der schon einmal einen Menschen verloren hat, wird sich in den versinkenden Gefühlen aus Trauer und Dankbarkeit wiederfinden. Aber MALONDA erzwingt keine falschen Emotionen, sie macht musikalische Räume auf, erlaubt, tief zu fühlen und gleichzeitig über die Gefühle nachzudenken.
Dicht am eigenen Leben ist auch “Matriarchin”. Der Song ist ihre Eloge an ihre Pflegemutter zu ihrem 80. Geburtstag, die die kleine Achan samt leiblicher Mutter in den Achtzigern in Essen aufgenommen hat. Das Album wird gerahmt von Hedy Lamarr und ihr: selbstbewusste, selbstbestimmte Frauen, deren Leben in all seinen Verwicklungen betrachtet, Licht wie Schatten.
Nach diesen Innenansichten richtet MALONDA wütend den Blick nach außen. “Deutschungshoheit” beginnt mit warnenden Worten von Achans Mama und ist ein definitives Statement darüber, wie es sich anfühlt, in diesem rassistischen, queerfeindlichen, antisemitischen, kaltem Land zu leben und zu überleben. MALONDA und Featuregäste Roger Rekless und Melane erschaffen eine Hymne des Schwarzen Widerstands in Deutschland - gegen Rassismus, Polizeigewalt, Selbstverleugnung.
Und natürlich ist auch der zentrale Begriff “Deutschungshoheit” - also weiße Deutsche, ob wohlmeinend oder feindselig, die allen anderen erklären, wie die Welt zu sein hat und gesehen werden muss - aus einem Telefonat entstanden. Am Ende des Albums ist MALONDA, die eben noch ganz richtig Deutschland bis zu seinen Wurzeln attackiert hat, selbst Bundeskanzlerin. Fehlt nur noch die passende Partei.
Aber, das zeigt die Geschichte, Künstler*innen wie MALONDA halten es nicht lange in Parteien aus, gerade weil sie so politisch sind. Sie erzählt eine große Geschichte über Zugehörigkeit und ihr Fehlen - zu den Menschen um sich herum, zu diesem Land, zu sich selbst. Es ist ein Album über Mut, Trauer, Sex, und Community, mit Gästen wie Roger Rekless, Melane, dem Beatboxgenie Luis Baltes und Achans eigenem Bruder, und Jens Friebe als Songwriting-Partner.
Die Worte sind so deutlich und die Melodien so groß, weil die Emotionen so verworren und verschlingend sind. “Geh ich zu weit?” fragt MALONDA...
“Mein Herz ist ein dunkler Kontinent” beweist, dass sie auf jeden Fall allen anderen in diesem Land weit voraus ist. So ein Album darf es in Deutschland eigentlich nicht geben.